Thema Landwirtschaft im Bienenjournal 05/2020 - ein Kommentar

Thema Landwirtschaft im Bienenjournal 05/2020 - ein Kommentar

Über die Maiausgabe des Deutschen Bienenjournals habe ich mich besonders gefreut. Viele interessante Themen fanden Eingang. Mit besonderem Interesse las ich das Interview mit Frank Böcker, seines Zeichens Landwirt, Jäger, Imker und Mitbegründer von "Land schafft Verbindung". Ich finde es gut, dass die Redaktion konsequent über den Tellerrand der Imkerei im engeren Sinn hinaus schaut. Wir Imker und unsere Bienen leben ja eingebettet in einem größeren Kontext mit dem wir wechselwirken. Die Beiträge zur Apitherapie zeigen auch diesen erweiterten Blick - Klasse.

Aber zurück zur Landwirtschaft. Was mich selbst bewegt ist das enorme Spannungsfeld, was sich über die letzten Jahre aufgebaut hat und seinen vielleicht markantesten sichtbaren Ausdruck in den Bewegungen "Land schafft Verbindung" und "Wir haben es satt" gefunden hat. Während letztere auf ein zehnjähriges Jubiläum zurückschauen kann, ist erstere noch sehr jung.

Während sich Sympathisanten von "Wir haben es satt" aus ganz verschiendenen Teilen der Gesellschaft rekrutieren, ist "Land schafft Verbindung" vor allem eine Bewegung der Landwirte. Die gegenseitige Wahrnehmung ist leider - auf beiden Seiten -  verzerrt oder noch schlimmer: Zu wenig vorhanden. Man hat als Beobachter den Eindruck, dass sich aus dem Weg gegangen wird.

Die Landwirte in Deutschland stehen ohne Frage mit dem Rücken an der Wand und kämpfen um ihr pures Überleben, ihre Nerven liegen blank. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn sie nicht ohne Wut im Bauch darauf verweisen, dass sie diejenigen sind, die uns satt machen, dass sie mit einer ständig wachsenden Flut an Bürokratie konfrontiert werden, dass sie kein Verständnis für "Schönwetterdemonstranten" haben, die nach der Demo wieder in ihre Büros arbeiten gehen und nicht von der Arbeit auf dem Acker leben müssen. Ein Vorwurf, der fälschlicherweise oft gegen die andere Strömung erhoben wird, ist: In uns Bauern werden die Schuldigen gesehen, die die Umwelt kaputt wirtschaften.
Dem ist schlicht nicht so. Die "Wir haben es satt" - Bewegung sieht die Bauern als Opfer der politischen Verhältnisse, nicht als irgendeine Art von Schuldigen.

Was man (noch) viel zu wenig sieht, ist aber nicht nur ein Verständnis füreinander sondern auch ein aktives Zugehen aufeinander - von beiden Seiten.

Erkannt wird auch zu wenig, dass man sich mit dieser Haltung enorm selbst schwächt - egal welcher Bewegung man anhängt. Die Politik weiß das in exzellenter Art und Weise auszunutzen. Teile und herrsche, das Prinzip ist alt. Schauen wir, wie die deutsche Landwirtschaftsministerin argumentiert. Hier auf der Demo in Berlin:

Ministerin Klöckner bei wir haben es satt

Es sind also die Bauern, die sich nicht einig sind und die einer Lösung im Wege stehen. Was für ein Zynismus angesichts der wirtschaftlichen Lage der Bauern und der haarsträubenden Umweltsituation.

Was kann man aber tun?

Ein Vorschlag: Themen suchen, bei denen man sich ohne lange Kompromissdiskussion einig ist, einig meint nicht nur einig zwischen konventionellen Landwirten(sorry für diese abgedroschene Formulierung) und Umweltschützern(sorry auch dafür), sondern wo man
a) die Bevölkerung ohne Wenn und Aber hinter sich hat
und
b) auch die Wissenschaft.

Und dann genau an diesen Themen mit aller Macht, die allen zur Verfügung stehen, arbeiten. Ohne sich von Scheinmanövern ablenken zu lassen.

Ich versuche mal ein Beispiel zu geben, welches wirtschaftliche Sicherheit der Bauern und regionale Landwirtschaft kombiniert.

Ich denke alle 4 Parteien hätten Konsens, dass die Arbeit der Bauern diese gut und ohne Existienzangst ernähren sollte. Bauer als Beruf sollte wieder Zukunft haben.
Auch Frank Böcker sagt im Interview:

Wir (konventionelle und Biobauern, Anm. Th.P.) wollen alle von der Landwirtschaft leben.


Interessanter ist der Punkt regionale Landwirtschaft.
Es gibt sehr viele gute Argumente Menschen mit regionalen Lebensmitteln zu ernähren - und zwar weltweit. Aus meiner Sicht sind die zwei stärksten Argumente hierfür:

  1. dadurch entsteht ein globales autarkes Ernährungsnetz mit sehr großer Widerstandskraft gegenüber Widrigkeiten verschiedener Ursachen
  2. bestimmte Regionen der Erde werden nicht einseitig zum Schaden der Umwelt belastet(wie es jetzt z.B. mit der Sojaproduktion in Südamerika geschieht)

Ein weiterer Effekt(3.) wäre, dass z.B. Umwelt belastende Transporte stark reduziert würden.

Um Punkt 1 etwas ausführlicher zu beschreiben: Nehmen wir an, in einer Region tritt eine Missernte ein. Dann wäre bei einer weltweit regional organisierten Landwirtschaft erst einmal nur die Region lokal unmittelbar betroffen. Hier müsste dann Abhilfe geschaffen werden durch Importe. Nun stellen wir uns aber vor die von der Missernte betroffene Region ist dafür zuständig 10% eines Futtermittels global zur Verfügung zu stellen - also die Landwirtschaft würde stark globalisiert(wie aktuell) und nicht regional betrieben. Dann hat diese Missernte natürlich viel größere Auswirkungen auf viel mehr Menschen, da die Abhängigkeit von dieser so intensiv bewirtschafteten Region viel höher ist. Es ist übrigens auch sehr wahrscheinlich, dass die Umweltbelastung in solch einer Region (siehe 2.) viel zu hoch ist, weil es schlicht naheliegt, dass Ressourcen  überbeansprucht werden müssen, wenn sie globale Märkte bedienen müssen.

Eine Widrigkeit kann aber, wie bei einer Missernte, nicht nur von Naturfaktoren abhängen. Beispielsweise sichert regionale Landwirtschaft einer ganzen Berufsgruppe vor Ort, den ansässigen Bauern, ein Einkommen, von dem sie sich und ihre Familie ernähren können. Das trägt zu einer sozialen Stabilierung einer Gesellschaft bei.

Was spricht aber in der Sache gegen eine konsequente regionale Landwirtschaft?

Bestimmte Produkte können regional nicht angebaut werden. Nehmen wir die vielzitierten Südfrüchte bei uns in Europa. Diese könnten, z.B. durch Preispolitik gesteuert, zu einem bestimmten Maß importiert werden. Allerdings nur so weit, inwieweit das Konzept der regionalen Produktion ungefährdet bleiben würde. Um es mal ganz vereinfacht zu sagen: Wenn die Menschen in Deutschland ihre Ernährung auf billig importierte Bananen statt Kartoffeln umstellen würden, wären die Rahmenbedingungen politisch falsch gesetzt.

Bestimmte Produkte wären nur saisonal verfügbar. Die Vielfalt in unseren Läden würde sinken, da regional bedeuten würde: Abhängig von den lokalen Gegebenheiten. Wenn noch keine Erdbeeren wachsen, dann könnte ich nur sehr teuer importierte Erdbeeren kaufen.

Die Qualität der Produkte könnte sinken, weil der Konkurrenzdruck von außerhalb der Region fehlen würde.
Hier könnten sinnvolle Standards helfen. Natürlich gäbe es auch eine normale Konkurrenz innerhalb der Region.

Gegenfrage: Wiegen diese Nachteile schwerer als die oben genannten Vorteile?

Vermutlich hätten die Anhänger von "Land schafft Verbindung" und "Wir haben es satt" keine großen Probleme sich saisonal zu ernähren und könnten auch viel höhere Preise für nicht lokale Produkte akzeptieren. Auch Wissenschaftler hätten vermutlich kein Problem mit dem Ansatz. Und die "normale Bevölkerung"? Schwer zu sagen, wie die Reaktion wäre, wenn von einen Tag auf den anderen die Produktvielfalt in den Läden zurück ginge. Andererseits haben die meisten Menschen erkannt, dass es nicht mehr so weiter gehen kann wie bisher. Plastiktüten sind ohne großes Aufsehen aus den Läden verschwunden. Die Bevölkerung akzeptiert sogar schwere Einschnitte in die Grundrechte, wenn die Politik mit einer geschlossenen Argumentationslinie aufmarschiert, wie wir gerade in der Corona-Krise erfahren. Was wäre, wenn die Tagesschau an die Verbraucher appellieren würde, dass die Erde eine regionale Landwirtschaft auf allen Kontinenten braucht, um die Ernährungssouveränität aller Regionen sicherzustellen, Überbelastungen in einzelnen Erdgebieten zu vermeiden und Transportwege auf das absolut Notwendige zu minimieren? Auch die Alternativen in einer Sondersendung nach der Tagesschau klarmacht(so wie jetzt bei Corona): Ein Weiterso bedeutet Anreize zu schaffen, z.B. den Regenwald weiter abzuholzen, um Soja für unsere Rinder in Deutschland zu haben. Und damit eine Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.

Es ist eine Frage des politischen Willens konsequent regionale Landwirtschaft aufbauen zu wollen.

Nehmen wir also an, regionale Landwirtschaft ist eine gute Idee, weil wir sie in der Sache für richtig befunden haben, keine starken Gegenargumente gefunden haben und erkennen, dass sie auf allgemeine Akzeptanz stößt, dann sollte man sich konsequent dafür einsetzen.

Warum ist konsequente regionale Landwirtschaft trotzdem heutzutage in den Augen vieler unmöglich? Hier sind wir wieder beim Interview mit Frank Böcker: Ich möchte zwei wichtige und sehr richtige Aussagen aus dem Interview nennen:

Wenn man heute Umfragen unter Verbrauchern macht, sagen alle, sie wollen regional und biologisch erzeugte Lebensmittel. Aber wartet man vor der Supermarkttür auf diese Kunden und schaut, was sie eingekauft haben, findet man Tomaten aus Südafrika und andere Billigprodukte aus Übersee.

und bezüglich Qualität des Gemüses bei sinkender Düngung:

Was meinen Sie, was dann die Supermärkte wie Aldi oder Lidl sagen? "Macht nichts?" Wohl kaum. Die sagen "Esst euren Kohl schön selbst.", listen die Artikel aus und ordern Ware aus Spanien oder Südafrika.

Das Problem ist sehr gut auf den Punkt gebracht. Regionale Landwirtschaft funktioniert nur, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch die Politik richtig gesetzt werden.

Konkret heißt das, dass Importe durch die Politik sehr stark begrenzt werden müssen.

Wo die Importe herkommen, ist dabei erst einmal sekundär. Wichtig ist, dass wir das Prinzip der Regionalität, wenn einmal als richtig erkannt, beibehalten und alles aus dem Weg räumen, was es gefährdet.

Es ist klar, dass wir in unserer Region keinen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen und Art und Weise der Landwirtschaft in anderen Ländern haben. Bspw. ist der jetzige Umweltminister von Brasilien vor seiner Amtszeit rechtskräftig verurteilt worden, weil er Umweltpläne zugunsten von Minenbetreibern fälschen ließ. In Brasilien werden massiv Pestizide eingesetzt, die bei uns verboten sind. Solche Umstände können dazu führen, das Landwirtschaftsprodukte zu viel geringeren Kosten produziert werden, als bei uns regional jemals möglich sein wird. Hier ist der Bauer bei uns chancenlos. Nur die Politik kann hier zur Seite springen und solche Importe verbieten oder stark drosseln. (Sie springt aktuell so zur Seite, dass sie den Bauern mit Subventionen ein Gnadenbrot hinwirft, dass zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig ist.[wobei viele sterben, siehe weiter unten])

Ein weniger drastisches Beispiel wäre vielleicht innerhalb der EU. Gurken wachsen in Spanien, Frankreich und Deutschland. Ist es sinnvoll, dass ein LkW mit Gurken deshalb von Spanien durch Frankreich nach Deutschland fährt? Und vielleicht zur selben Zeit einer von Deutschland nach Spanien? Nur damit die Spanier deutsche Gurken und die Deutschen spanische Gurken essen? Wenn man das als falsch und schädlich erkannt hat, sollte man sich dafür einsetzen, dass es sich ändert.

Was tut die Politik um regionale Landwirtschaft zu befördern? In Sonntagsreden wird regionale Landwirtschaft positiv dargestellt.

Vor allem wird an die Verbraucher appelliert und an deren Bewusstsein.

Echte politische Maßnahmen gibt es kaum. Wenn eine Schule mit einem Bauern vor Ort einen Liefervertrag abschließen will, trifft sie auf unerwartet hohe Hürden, plötzlich muss eine überregionale Ausschreibung gemacht werden.

Wer aus sozialen Gründen(Stärkung der Bauernschaft weltweit), Gründen des Umweltschutzes und einer autarken widerstandsfähigen Ernährungsstruktur für Importbeschränkungen argumentiert, wird zügig zum ewig gestrigen Abschotter mit nationalistischen Zügen abgestempelt.

Auf die Frage der WELT an Julia Klöckner, ob wir zurück zu einer größeren Autarkie in der Landwirtschaft müssen, waren die ersten beiden Sätze ihrer Antwort:

Zurück zur Speisekarte der 1950er-Jahre? Nein, die Vielfalt ist auch ein Stück Lebensqualität. ...

Das gesamte Interview war überschrieben mit "Aufrufe zum Konsum-Nationalismus schaden uns selbst".

Dieses Verhalten behebt aber die harten berechtigten Argumente von Frank Böcker nicht. Ganz im Gegenteil. Das Mercosur-Abkommen wird den Kostendruck in Deutschland weiter steigen lassen. Mehr Höfe werden kaputt gehen. In den letzten 10 Jahren machte aller 3 Minuten ein Bauernhof dicht. Daran wird sich nichts ändern, wenn die Landwirtschaftspolitik so weiter macht wie bisher.

Dass es "Land schafft Verbindung" und "Wir haben es satt" gibt, macht mich hoffnungsfroh. Was ich mir wünsche ist, dass beide ihre Kräfte bündeln, ihren kleinsten gemeinsamen Nenner finden und dann mit allen Mitteln aktiv werden. Nur so wird man voran kommen.

Vom Deutschen Bienenjournal wünsche ich mir weiterhin Artikel zum Thema Landwirtschaft. Vielleicht demnächst mal zur Fragestellung: Warum dürfen europäische Firmen Pestizidprodukte und Wirkstoffe exportieren, die bei uns verboten sind? So erzeugte Nahrungsmittel landen dann wieder durch Importe auf unseren Tellern...